Lese-Rechtschreibstörung (LRS), Legasthenie

Markus ist mittlerweile in der vierten Klasse angekommen und wäre froh, wenn er endlich zaubern könnte und nicht ständig Diktate schreiben müsste. Trotz vieler Nachhilfestunden und wiederholtem Abschreiben der fehlerhaften Wörter im Diktat wird seine Note in Deutsch nicht besser. Er kann tolle Aufsätze schreiben. Leider werden diese wegen der Rechtschreibfehler auch nur mit einer schwachen „4“ bewertet. Es ist zum Weglaufen.Markus ist altersgemäß entwickelt und verfügt über eine normale Intelligenz, er gehört zu den Kindern mit einer so genannten „umschriebenen Teil-Leistungsschwäche beim Erlernen des Lesens und des Schreibens“. Diese Lernschwäche nennt man auch „Lese-Rechtschreibstörung“ oder „Legasthenie“.

Problem: Laute in Schrift überführen

Für solche Kinder ist es sehr schwierig, die Lautsprache (Phoneme) in Schriftsprache (Grapheme) umzusetzen. Etwa 10 % aller Schüler haben Schwierigkeiten das Lesen und Schreiben schnell zu lernen – bei ansonsten guten Leistungen in den anderen Fächern.

Die Ursachen dazu können unterschiedlich sein:

Hat ein Kind zum Beispiel schon früh in seiner Entwicklung eine Störung in der Hörverarbeitung (zentrale akustische Wahrnehmungsverarbeitung), dann kann es ähnlich klingende Laute die „g“ und „k“ oder „o“ und „u“ nicht richtig unterscheiden und schreibt dementsprechend den falschen Buchstaben. Oft ist darüber hinaus die Merkfähigkeit für Reihenfolge von Silben oder Buchstaben nicht gut ausgeprägt (akustische Merkfähigkeitstörung), so daß Wörter schlechter abgespeichert werden können und Silben durcheinandergebracht werden.
Besteht eine ausgeprägte visuelle Wahrnehmungsverarbeitungstörung, werden Buchstaben oft seitenverkehrt geschrieben oder Wörter als Ganzes nicht erkannt (Zusammenschleifen von Silben und Buchstaben als Wort).

Genetik und Hirnforschung

Eine Lese-Rechtschreibstörung ist oft vererbt. Die Ursache ist eine  mangelnde Vernetzung der dafür zuständigen Neuronen und Hirnbereiche. Sehr oft haben auch Kinder mit einer Aufmerksamkeitsstörung dieses zusätzliche Problem.

 Verlauf

Schon bei Kleinkindern gibt es eine Reihe von Warnsignalen, die auf eine spätere Lese-Rechtschreib-Schwäche hindeuten können:

  • Das Kind hat Schwierigkeiten beim Zuhören
  • Es zeigt kaum Bereitschaft, Wörter nachzusprechen
  • Das Kind kann Informationen nur aufnehmen, wenn es direkt angesprochen wird
  • Das Kind hat ein schlechtes Gedächtnis für Wochentage, Farben und Namen
  • Das Kind kann sich auch kürzeste Gedichte und Reime nicht merken.

Für die betroffenen Kinder ist es wichtig, dass das Teil-Leistungsproblem möglichst schnell erkannt wird, da sonst Schulunlust, schwaches Selbstbewusstsein und zuletzt auch psychosomatische Beschwerden die Folge sind. Beim genauen Hinsehen fällt den Eltern meist schon am Ende der ersten Klasse auf, dass ihr Kind besonders viel Mühe hat, richtig und lautgetreu zu schreiben. Das Lesen wird meist vermieden. Die Kinder lernen den Text aus dem Lesebuch schnell auswendig und täuschen das Lesen gerne vor, weil Sie sich vor den anderen Kindern schämen. Bei neuen mehrsilbigen Wörtern ist das Zusammenziehen der Silben sehr holprig. Sie sind noch so mit dem Erlesen einzelner Wörter beschäftigt, dass sie Mühe haben, einen ganzen Satz zu verstehen und den Sinn zu behalten. Sie schmökern nie in einem Buch mit viel Text.
Leider sehen kommen auch oft Kinder zu uns, die erst nach der Grundschule mit einer Rechtschreibstörung auffallen. Zum Teil liegt das an einem pädagogischen Konzept, das darin beruht zu schreiben, wie man hört und darüber hinaus den Eltern zu verbieten falsche Wörter zu korrigieren. Wenn dann nur noch „geübte Diktate“ in den Klassen 3 und 4 geschrieben und benotet werden, ist die Welt noch in Ordnung, bis auf einmal in der weiterführenden Schule das Problem auffällt.
Wird fleißig geübt, bessert sich in der Regel zunächst eine möglicherweise vorhandene Lesestörung vor der Rechtschreibstörung. Rechtschreibstörungen können auch ohne Lesestörung und sehr selten die Lesestörung ohne eine Rechtschreibstörung vorkommen.

Diagnose

Wir stellen die Diagnose, indem wir das Kind zunächst kognitiv testen (IQ-Testung). Danach führen wir eine für die Klassenstufe standardisierte Rechtschreibtestung oder/und Lesetestung durch. Erreichen Kinder mit mindestens durchschnittlicher Intelligenz einem Vergleich zu ihrer Schulform und Klassenstufe unterdurchschnittliches Ergebnis (Prozentrang < 15%), dann ist rein formal schon mal eine Lese- oder Rechtschreibstörung festgestellt. Jetzt kommt die Feinarbeit. Entscheidend für Fördermaßnahmen ist die Information, ob das Kind zusätzlich eine akustische oder visuelle Wahrnehmungsverarbeitungsstörung hat. Auch das lässt sich feststellen und ist wichtig für die jetzt folgende lerntherapeutische Arbeit.

Therapie

Die Therapie von Lese – und Rechtschreibstörungen ist die Domäne der „Lerntherapie“. Aber auch Logopäden und Ergotherapeuten, die eine spezielle Ausbildung absolviert haben, haben fundierte Kenntnisse eine gezielte Förderung durchzuführen. Wie Ihnen mittlerweile beim Durchlesen klar geworden ist, ist es nicht ausreichend permanent Diktate zu schreiben und immer wieder die gleichen Fehler festzustellen, sondern einen individuellen „Förderplan“ für das Kind zu erstellen, in dem die Erkenntnisse der Wahrnehmungstestung mit einfließen. Das Beherrschen der Rechtschreibung wird auch durch spezielle Förderung nicht zu einer herausragenden Stärke Ihres Kindes, Kinder lernen aber in dieser Therapie Hilfsstrategien anzuwenden, die Ihnen das Leben in der Schule erleichtern.
Kinder mit LRS haben Anspruch auf gezielte schulische Förderung. Diese sollte idealerweise zweimal wöchentlich in Kleingruppen bis maximal fünf Kindern (auf ähnlichem Leistungsniveau!) stattfinden. Wie gut das örtliche Angebot ist, hängt entscheidend von der Schule und vor allem dem Bundesland ab, da die rechtlichen Bedingungen unterschiedlich sind. Selbsthilfegruppen, Schulbehörde und Jugendamt geben entsprechende Auskünfte. Das Jugendamt ist auch deshalb eine gute Anlaufstelle, weil gegebenenfalls die Fördermaßnahmen bei Lese-Rechtschreib-Schwäche nicht über die Krankenkasse, sondern nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz abgewickelt werden können.

Wenn Sie den Verdacht auf eine Lese- oder Rechtschreibstörung oder Dyskalkulie haben, dann können Sie sich zur Diagnostik hier anmelden.